Was gibt es Schöneres als eine Tür, die sich für uns öffnet! Da sind wir unterwegs zu Freunden. Schon von Ferne sehen wir die leuchtenden Kerzen im Fenster und an der Schwelle. Die Tür steht bereits offen, Licht erfüllt den Hof und eine freundliche Stimme heißt uns willkommen! Wir sind angekommen und fühlen uns gleich wie zuhause!
Vor 397 Jahren, in den Wirren des Dreissigjährigen Krieges hat dies der Pfarrer und Musiker Georg Weissel im damaligen Königsberg erlebt. Als er im Schneetreiben am Dom der Stadt vorbeiging, hörte er eine vertraute Stimme: Sein Küster stand da und rief den Leuten zu: 'Willkommen im Hause des Herrn! Hier ist jeder in gleicher Weise willkommen, ob Patrizier oder Tagelöhner! Sollen wir nicht hinausgehen auf die Straßen, an die Zäune und alle hereinholen, die kommen wollen? Das Tor des Königs aller Könige steht jedem offen'.» Weissel bedankte sich bei seinem Küster: «Er hat mir eben eine ausgezeichnete Predigt gehalten!»
Flugs eilte er nach Hause, setzte sich an seinen Schreibtisch und dichtete nach den Worten des 24. Psalms der Bibel: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit". Rasch eroberte sein Lied die ganze Welt. In unserem evangelischen Gesangbuch ist es die Nummer 1!
Nicht nur Weihnachtsfreude, auch Umdenken und konkrete Hilfe verbreitete dieses Lied. Neben Weissels neuerbauter Kirche wohnte der Geschäftsmann Sturgis. Wegen der unruhigen Zeiten hatte er sein Grundstück mit Zäunen und Toren abgesichert und abgeschlossen. Natürlich war dies sein gutes Recht, doch gerade hinter seinem Grundstück befand sich das Armen- und Siechenheim des Ortes. Die Menschen, die dort lebten, konnten nun nicht mehr auf kurzem Wege in die Stadt oder in die Kirche gehen. Sie mussten einen weiten Umweg nehmen. Viele machten sich gar nicht mehr auf den Weg. Vereinsamung drohte.
Das ließ dem Pfarrer Weissel keine Ruhe. Am vierten Advent zog er mit seiner Kurrende zu Sturgis' Haus. Zahlreiche arme und gebrechliche Leute aus dem Armenhaus hatten sich ihm angeschlossen. Weissel hielt eine kurze Predigt.
Er sprach davon, dass viele Menschen dem König aller Könige, dem Kind in der Krippe, die Tore ihres Herzens versperrten, sodass er bei ihnen nicht einziehen könne.
Und er wurde sehr konkret: «Heute, lieber Herr Sturgis, steht er vor eurem verriegelten Tor. Ich rate euch: Öffnet ihm nicht nur dieses sichtbare Tor, sondern auch das Tor eures Herzens und lasst ihn mit Freuden ein!» Dann sang der Chor: «Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! Es kommt der Herr der Herrlichkeit...»
Der Geschäftsmann stand da wie vom Donner gerührt. Noch bevor das Lied verklungen war, griff er in die Tasche und holte den Schlüssel zum Tor heraus. Er sperrte die Pforten wieder auf und sie wurden nie mehr verschlossen. Noch lange hieß der nun wieder freie Weg zur Kirche und zur Stadt „Der Adventsweg."
Wir sind froh, wenn sich Türen öffnen und wir uns nahe sein können. Umso schmerzlicher ist es, wenn manche Tür in dieser Zeit der Pandemie verschlossen bleiben muss. Da geht Nähe verloren. Und es macht traurig.
Auch unsere Kinder erlebten Einschränkungen und das Reisen zu den Großeltern musste wieder und wieder verschoben werden. „Früher, vor Corona, da haben sich die Leute umarmt und geküsst", resümierte unser 4jähriger Enkel, „heute machen wir es anders." Keine Mühe wird gescheut: Mit Ausdauer wurde mit einer alten Kurbelmühle Kaffee gemahlen, emsig wurden Blaubeeren gesammelt und Marmelade gekocht, es wurde und wird gebastelt und gemalt... Den Kindern fehlt es nicht an Initiativen. Und manch wunderbarer Brief mit so schönen Dingen drin, wurde zur Post gebracht und kam sogar heil an, was für eine Freude!
Es tut gut, wenn die Türen der Herzen offenbleiben, wenn das Aneinander-Denken, die Aufmerksamkeit und die Fürsorge füreinander nicht verloren gehen, damit wir – auch in dieser Zeit – nicht mutlos werden.
Zu Weihnachten ist Gott in einem kleinen Kind zur Welt gekommen. Er möchte bei uns Menschen sein, jede und jeder ist ihm wichtig!
Martin Witte, im Dezember 2020